Sachsenforst will nun offensichtlich noch einen höheren Gang bei der „Verfolgung“ des Rotwilds einlegen. Das wird mehr als deutlich aus einem Artikel in der Freien Presse vom 22.03. und einer Pressemitteilung „Sachsenforst verschärft die Rotwildbejagung im Forstbezirk Marienberg“ (siehe unten) des Landesjagdverbandes Sachsen. Der Grund ist, wie könnte es anders sein, die aus Sicht von Sachsenforst angeblich durch das Rotwild verursachten viel zu hohen Verbiss- und Schälschäden. Dabei ist es höchst umstritten, ob allein auf Basis von Erhebungen der Verbiss- und Schälschäden auf die Höhe der Bestände und auf das Maß einer Reduzierung geschlossen werden kann. Andere Untersuchungen werden jedenfalls hartnäckig ignoriert. Sie kommen scheinbar von der falschen Seite, beispielsweise die Studie „Erstellung eines integrierten Wildtiermanagementkonzeptes auf wildbiologischer Grundlage am Beispiel der Hegegemeinschaft Erzgebirge“ von Prof. Herzog (siehe unten), die zu dem Ergebnis kommt, dass in Anbetracht der Ernährungsbasis die Rotwildbestände im Erzgebirge durchaus nicht zu hoch sind. Natürlich bleiben auch die dort gemachten Vorschläge zur Reduzierung der Schäden ohne Resonanz. Sonderlich überraschend ist das leider nicht. Man macht halt gerne seinen eigenen Stiefel.
Das Ziel der ganzen Angelegenheit dürfte darin bestehen und das war genauso zu erwarten, dass man die Bestände auf das Niveau des Westerzgebirges drückt. Die Rotwildbestände dort sind vorbildlich niedrig, zumindest aus Sicht der Forstbehörden. Man gilt als Vorzeigebeispiel bei der Umsetzung des Waldumbaus. Wie es dem Rotwild dabei ergeht ist Nebensache (siehe PDF der Zeitschrift „Lebendige Vielfalt im Westerzgebirge – Wald und Wild in bewegten Zeiten“).
Dazu muss also jetzt ein weiteres Projekt ins Leben gerufen werden. Dabei warten wir immer noch gespannt auf die Veröffentlichung der Ergebnisse aus dem groß angelegten „Kooperationsprojekt pro Waldumbau“ im Erzgebirge von Sachsenforst und TU Dresden, dessen Laufzeit ursprünglich von 2016 bis 2019 angedacht war und dann wohl um ein Jahr verlängert wurde. Mehr wissen wird nicht. Auf der Internetseite dazu (https://www.wald.sachsen.de/rotwildprojekt-projektstatus-5691.html) herrscht jedenfalls seit vielen, vielen Monaten Funkstille. Ganz unten steht fast schon eine Ewigkeit lang als letzter Absatz: „Derzeit werden die Ergebnisse des Kooperationsprojektes in einem Abschlussbericht zusammengefasst. Die Veröffentlichung wird Ende 2021 erfolgen.“ Das erinnert ein wenig an den Berliner Flughafen und ein Schelm wäre wohl, der vermutet, dass die Ergebnisse vielleicht nicht so ganz das hergeben, was man sich erhofft hat.
Aber das nur nebenbei. In Marienberg jedenfalls will man nun üben, wie man das Rotwild noch straffer reduzieren kann und lässt dabei selbst die letzten Hüllen fallen oder würde das zumindest gerne tun. Nach Angaben des Landesjagdverbandes (siehe unten) ist u.a. eine Verkürzung der Schonzeiten der Spießer und Schmaltiere um 3 1/2 Monate – also in die Setz- und Aufzuchtzeit hinein – und die Aufhebung des Nachtjagdverbotes vorgesehen. Auch wenn das gemäß dem Artikel in der Feien Presse vorläufig vom Tisch zu sein scheint, so wird man das Gefühl nicht los, dass man das am Ende schon gerne hätte. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Man nähert sich damit Schritt für Schritt dem Umgang mit dem Wildschwein an. Bei ihm hat die Jagd schon jetzt freie Fahrt, rund um die Uhr und rund ums Jahr (siehe auch den Link unten zum Beitrag „Armes Schwein“). Ganz nebenbei bemerkt ist das bei dieser Tierart auch vielen Jägern scheinbar nicht ganz unsympathisch. Von einer „Einklassengesellschaft“ bei den Wildtieren sind wir noch weit entfernt.
Es ist wirklich erstaunlich oder auch nicht, dass der Dienstherr von Sachsenforst, das Sächsische Ministerium für Energie, Klima, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL), diesem Treiben stumm und ungerührt zusieht. Auch dort öffnet offensichtlich das Argument Klimawandel alle Türen und Tore für Unsinnigkeiten, die man bis vor Kurzem noch für unmöglich gehalten hätte, sei es nun bei der Windkraft im Wald oder eben bei der Jagd. Koalitionsverträge werden korrigiert oder einst hoch gehandelte Werte wie den Tierschutz lässt man pausieren oder redet man sich schön. Andere Zeiten, andere Sitten. Jedenfalls ganz schlechte Zeiten für Hirsch, Reh und Wildschwein. Es ist schon merkwürdig: Man bemüht sich um das Tierwohl bei den landwirtschaftlichen Nutztieren, aber Wildtiere dürfen rund um die Uhr und fast über das ganze Jahr hin verfolgt werden und das gilt am Ende noch als tier- und artgerecht. Besonders traurig und vielsagend an der Angelegenheit ist auch folgendes: Es gibt in Sachsen einen Erlass des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft zur Vorbildlichkeit von Jagdausübung und Hege in den Verwaltungsjagdbezirken aus dem Jahr 2013, in dem der schöne Satz steht: „Jagd und Hege erfolgen verantwortungsvoll im Sinne der Jagdethik und Weidgerechtigkeit. Sie richten sich nach ökologischen und wildbiologischen Grundsätzen und beachten die Anforderungen des Tierschutzes und der Wildbrethygiene.“ Papier ist eben geduldig.
Und die Moral von der Geschicht: Die Moral ist ein flüchtiges Reh, das nicht selten auf der Strecke bleibt.
PDF Download Pressemitteilung des Landesjagdverbandes Sachsen „Sachsenforst verschärft die Rotwildbejagung im Forstbezirk Marienberg“
PDF Download Studie „Erstellung eines integrierten Wildtiermanagementkonzeptes auf wildbiologischer Grundlage am Beispiel der Hegegemeinschaft Erzgebirge“
PDF Download Zeitschrift „Lebendige Vielfalt im Westerzgebirge – Wald und Wild in bewegten Zeiten“
Zum Beitrag „Studie ‚Wild im Wald‘ erschienen“
Zum Beitrag „Armes Schwein“