Streuobstwiesen und Obstgärten

„Damals war mir der Geflammte Kardinal am liebsten. Eine Apfelsorte, die nur noch in wenigen Obstgärten am Bodensee zu finden ist. Ansonsten ist der Geflammte Kardinal auch hier vom Goldenen Delizius, der Einheitsfrucht, ersetzt. Es standen drei Geflammte Kardinal in diesem Baumgarten, aus dem man, in die Sprache der Planer übersetzt, gut und gern zehn Einfamilienwohneinheiten hätte herausschlagen können. Man müsste nur die Planierraupe kommen lassen, um Ordnung zu schaffen. Die Bäume stehen noch. Ich will sie in Schutz nehmen, solange ich kann.“
Arnold Stadler, „Einmal auf der Welt. Und dann so“

Nicht alle sind solch bekennende Obstbaumschützer wie der schwäbische Schriftsteller Arnold Stadler, obwohl das bitter nötig wäre. Obstgärten und Streuobstbestände sind bei uns ebenso wie in Schwaben und dem Rest der Welt auf dem absteigenden Ast. Gärten waren früher für die Selbstversorgung und Ernährung enorm wichtig und dies wirkte sich enorm positiv auf die Vielfalt unserer wilden Mitbewohner in unseren Städten und Dörfern aus. Das könnte heute auch noch so sein, ist aber leider eher die Ausnahme. Dies gilt im besonders hohen Maße auch für extensiv bewirtschaftete hochstämmige Obstbaumbestände aller Art. Früher waren die Obstbäume wichtige Bestandteile der Dörfer und der Feldflur, bei uns meist in Form von Obstgärten und Obstalleen, in anderen Gegenden sogar landschaftsprägend als „verstreute“ Hochstammbestände im Offenland, meistens mit Wiese oder Weide, manchmal auch mit Acker als Unternutzung. Ein Natur- und Kulturgut von hohem Rang. Der zunehmende Wohlstand, die Industrialisierung des Obstbaus und der Siegeszug der Supermärkte haben ihren Tribut gefordert. Unsere Obstalleen sind so gut wie komplett verschwunden, die alten Obstgärten stark auf dem Rückzug.
Diese sehr strukturreichen Lebensräume mit einer Nutzung in zwei Etagen, die in der Regel auch nur eine sehr extensive Unternutzung zuließen, gehören zu den artenreichsten und interessantesten Lebensräumen, die wir bei uns kennen. Diese eigentümliche Mischung aus Offenland und Wald ist Lebensraum für über 5000 Pflanzen- und Tierarten.
Allerdings – und das kann nicht oft genug betont werden – sind diese durch menschliche Nutzung entstandenen Lebensräume auf Gedeih und Verderb auf deren Fortführung angewiesen, sonst droht die schnelle Vergreisung der Bäume und die Verbrachung, Verbuschung und Verwaldung des Unterwuchses oder eben die vorherige Beseitigung der Bestände. Es nützt also rein gar nichts, wie nicht selten vorkommend, Obstbäume unter großem Medienrummel in die Erde zu stecken, um die sich dann niemand kümmert. Obst bäume machen Arbeit und je größer sie werden, umso mehr.

Glücklicherweise hat der Naturschutz die Streuobstwiesen als Steckenpferd entdeckt und das bietet sich angesichts der großen Bedeutung für die Biodiversität natürlich auch an. Die Naturschutz- und Landschaftspflegeverbände versuchen durch fachgerechte Nutzung und Pflege der Bäume und des Unterwuchses diese einzigartigen Lebensräume zu erhalten und neue Bestände zu etablieren. Einige von ihnen bemühen sich auch um die Bewahrung der alten, für die Region typischen Sorten und um Projekte zur Regionalvermarktung des Obstes.
Ein gutes Beispiel in der Region ist die Naturherberge Affalter, die vom NABU Aue-Schwarzenberg betrieben wird. Hier bemüht man sich, alte Obstsorten und das zugehörige Wissen zu bewahren und es an Jung und Alt weiterzugeben. Dazu dienen u.a. ein Sortengarten sowie alljährliche Veranstaltungen wie Baumschnitt- und Veredelungskurse und Sortenbestimmungen. Auch hochstämmige Obstbäume können über die Naturherberge nach Absprache im beschränkten Umfang bezogen werden. Aus vorhandenen oder mitgebrachten Edelreisern kann auch eine auf einen jungen Hochstamm veredelte Wunschsorte erworben werden. Auch mit der Imkerei als wichtige Grundlage der Bestäubung der Obstbäume beschäftigt man sich.
Näher Interessierte finden eine Menge Informationen auf dem „Obst- und Insekten-Erlebnispfad Affalter“, der an der Naturherberge seinen Anfang hat, oder in der vom Landschaftspflegverband Westerzgebirge herausgegebenen 60-seitigen Begleitbroschüre „Von Äpfeln, Bienen, Hummeln und viel Natur(a). Der Obst- und Insekten-Erlebnispfad Affalter“, die man beim LPV oder in der Naturherberge bekommen kann.

Helfen Sie mit, dieses wichtige Natur- und Kulturgut Obstwiese zu schützen und zu pflegen, erhalten Sie ihre alten Obstbäume, falls Sie noch welche besitzen. Oder pflanzen Sie Hochstammobstbäume mit ihren Lieblingssorten. Auch wenn Sie einige Jahre warten müssen, bis Sie in den eigenen Apfel beißen können. Diesen Augenblick werden Sie so schnell nicht vergessen und werden sich selbst überzeugen können, welche Geschmackserlebnisse wir verlieren, wenn die alten Sorten verschwinden. Das können die wenigen Einheitssorten aus industrieller Herstellung im Supermarkt nicht ersetzen, mögen sie noch so verlockend glänzen und ihre scheinbare Makellosigkeit zur Schau stellen. Gesünder sind sie deshalb noch lange nicht, ganz im Gegenteil.

Mehr zu den für das Westerzgebirge geeigneten Obstsorten erfahren Sie im Beitrag „Von alten Obstsorten / Sortenempfehlung“

Mehr zur Broschüre „Von Äpfeln, Bienen, Hummeln und viel Natur(a). Der Obst- und Insekten-Erlebnispfad Affalter“