Von alten Obstsorten / Sortenempfehlung

„Nun, in der Natur wird nichts als Unsinn getrieben. Die Schmetterlinge tanzen, die Käfer musizieren, der Pfau schlägt sein Rad, der Hahn benimmt sich grässlich albern, und unser nächster Verwandter, der Affe, hat nichts als Schabernack im Kopf … Ich glaube, dass einem Apfelbaum seine Äpfel ziemlich unwichtig sind und dass er seinen Hauptspaß im Blühen und Duften und derlei zwecklosem Unsinn findet. Im Grunde ist es unter den Menschen auch nicht anders. Alles wirklich Wertvolle ist aus einer Spielerei hervorgegangen … Ja, man kann soweit gehen zu sagen: Ein Mensch, der nicht weiß, dass er ein Narr ist, ist nicht nur kein Künstler, sondern versteht überhaupt nichts vom Leben.“
Egon Friedell (1878-1938)

Der Obstbau im Erzgebirge muss wohl zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Blütezeit gehabt haben. Der folgende Auszug aus dem Buch von Alexander Bode „Der Obstbau im Erzgebirge“ aus dem Jahr 1914 hat etwas märchenhaftes an sich, man kann es gar nicht so recht glauben, was einem da erzählt wird:
„Auf Grund einer sorgfältigen Zählung konnte festgestellt werden, daß in einem Orte des mittleren Gebirges 123 Apfel- und 91 Birnensorten vorhanden sind. Im ganzen wurden hier 3901 Apfelbäume gezählt, hiervon waren 2005 Stück dem Namen nach bekannt, 1896 Stück unbekannt. Von 3049 Birnbäumen konnten 1779 bezeichnet werden, 1270 hingegen waren ohne Namen.“
Alexander Bode (1860-1920), „Der Obstbau im Erzgebirge“

Ähnliche Ergebnisse brachten nach Bode die Untersuchungen in 20 weiteren Ortschaften. Unglaublich ist nicht nur die enorme Zahl der Bäume, sondern auch die verblüffende Vielfalt an Sorten, die auch in einer Landschaft mit etwas rauerem Klima wie der unseren ein schmackhaftes und gut verwendbares Obst geliefert haben. Eine Geschmacksvielfalt, von der wir nur noch träumen können, die uns schon weitgehend verloren gegangen ist, indem sie ersetzt wurde durch diese fünf bis zehn – wenn es hoch kommt – gängigen Allerweltsorten, diesen aus allen Kontinenten herangekarrten Einheitsbrei, den wir im Supermarkt finden. Gleichzeitig wird noch einmal deutlich, welch enorme Sortenvielfalt uns letztendlich schon verloren gegangen ist.
Es mag zwar sein, dass dem Apfelbaum so ziemlich egal ist, was auf ihm so heranwächst, wie Egon Friedell vermutet. Den Obstbaumbesitzern jedenfalls war es das nicht. Man kannte die spezifischen Eigenschaften des Obstes und wusste, wie man diese wertvollen Köstlichkeiten behandeln musste, damit sie dann in den verschiedensten Formen über das ganze Jahr hinweg aufgetischt werden konnten. Es wurde frisch verzehrt, getrocknet oder eingeweckt, zu Marmelade oder Saft verarbeitet oder zu „richtigen Getränken“ veredelt. Durch die Sorten- und Geschmacksvielfalt ergaben sich viele Möglichkeiten. Zum Beispiel eignet sich der Albrechtsapfel als Tafel-, Koch- und Backapfel, während der Boikenapfel als Dörrapfel oder zu Mus verarbeitet wird. Die Williams Christ Birne macht sich gut beim Einwecken und die Hauspflaume als Kompott, zum Frischverzehr und Einmachen.

Keiner weiß so recht warum, aber die Themen Streuobst und alte Obstsorten haben in den letzten Jahren eine gewisse Renaissance erfahren. Zunehmend mehr Menschen haben wieder Interesse an Obstbäumen im eigenen Garten oder interessieren sich dafür, was denn das für eine Sorte ist, die da an „Großvaters Baum“ im Hausgrundstück hängt, die jeder gern isst, aber keiner mehr kennt. Das macht ein wenig Hoffnung, dass wenigstens ein Teil der für die Region typischen alten Sorten erhalten bleibt. Wer also einen Beitrag zum Erhalt der Sortenvielfalt beim Obst leisten und nebenbei oder vor allem schmackhaftes, gesundes und gut verwertbares Obst ernten möchte, der sollte sich an folgende Sorten halten, die sich in der Region bewährt haben und zumindest zum Teil auch noch erhältlich sind:

Äpfel
Albrechtsapfel, Ananasrenette, Antonowka, Baumanns Renette, Berner Rosenapfel, Biesterfelder Renette, Bismarkapfel, Bohnapfel, Boikenapfel, Borsdorfer (mehrere Spielarten), Boskoop, Carola, Charlamowski, Croncels, Danziger Kant, Dülmener Herbstrosenapfel, Fiesers Erstling, Freiherr von Berlepsch, Geflammter Kardinal, Geheimrat Breuhahn, Gelber Edelapfel, Goldparmäne, Graue französische Renette, Harberts Renette, Helios, Herrnhut, Ingrid Marie, Jakob Fischer, Jakob Lebel, James Grieve, Kaiser Wilhelm, Klarapfel, Königinapfel, Landsberger Renette, Lausitzer Nelkenapfel, Oberdieks Renette, Ontario, Rheinischer Winterrambur, Rote Sternrenette, Roter Eiserapfel, Ruhm aus Kirchwerder, Safran, Winterbananenapfel, Zuccalmaglios Renette

Birnen
Josephine von Mecheln, Gute Graue, Konferenzbirne, Leipziger Rettichbirne, Marianne, Petersbirne (Weizenbirne), Philippsbirne, Poiteau, Williams Christ

Pflaumen
Althans Reneklode, Czar, Emma Leppermann, Viktoriapflaume, Wangenheim

Süßkirschen
Altenburger Melonenkirsche (Büttners Späte Rote Knorpelkirsche), Dönissens Gelbe


Mehr zum Thema Streuobst erfahren Sie in unserem Beitrag „Streuobstwiesen und Obstgärten“